A. Eigenmann: Konsum statt Klassenkampf

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Titel
Konsum statt Klassenkampf. Die Soziale Käuferliga der Schweiz (1906–1945) zwischen Frauenbewegung, religiösem Sozialismus, Philanthropie und Gewerkschaften


Autor(en)
Eigenmann, Anina
Erschienen
Zürich 2019: Chronos Verlag
Anzahl Seiten
320 S.
von
Peter-Paul Bänziger, Departement Geschichte, Universität Basel

Wer den Buchtitel liest, denkt vielleicht an die Debatte in der Arbeiterbewegung des frühen 20. Jahrhunderts, ob man die Produktionsverhältnisse umstürzen oder eher eine Teilhabe an der aufkommenden Konsumgesellschaft anstreben solle. Davon unterscheidet sich der Untersuchungsgegenstand von Anina Eigenmann deutlich. Die 1906 gegründete Soziale Käuferliga (SKL) und ihre meist bürgerlichen Mitglieder interessierten sich nicht für den Konsum der Arbeiterschaft, sondern für den Beitrag der eigenen Konsumpraktiken zur Lösung der sozialen Frage. Es ging nicht um die Förderung des Konsums, sondern um die Frage nach dem «richtigen Konsum» (S. 73).

Den zeitgenössischen Debatten um den Konsum widmet sich Eigenmann allerdings nur am Rande. Überhaupt wird die konsumgeschichtliche Forschung eher selektiv rezipiert. Konsum wird vor allem als politisches Instrument thematisiert, am Beispiel der Stimmrechtsfrage auch in seinen Beziehungen zur Staatsbürgerschaft. Eine weitergehende Auseinandersetzung mit Forschungen zur (Geschlechter‐)Geschichte des Konsums und zum Konsum als Pflicht wie auch Basis von Rechten hätte hier wie da spannende weitere Dimensionen eröffnen können.

Das Buch folgt der Geschichte der SKL in vier chronologisch angeordneten Kapiteln. Zunächst beschreibt Eigenmann die Herkunft der zentralen AktivistInnen. Wichtigster Kontext war die Frauenbewegung. Der Bund Schweizerischer Frauenvereine (BSF) spielte etwa bei der Gründung der SKL eine entscheidende Rolle. Aufgrund ihrer bürgerlichen Herkunft waren viele Mitglieder durch die Gedankenwelt der Philanthropie und Gemeinnützigkeit geprägt. Wichtig waren aber auch Abolitionismus und Sittlichkeitsbewegung sowie die religiös-sozialen und -sozialistischen Bewegungen. Nur einzelne Gründungsmitglieder pflegten enge Beziehungen zur Arbeiterbewegung.

Angesichts der Herkunft der Mitglieder erstaunt es nicht, dass viele Empfehlungen der SKL auf bürgerliche Frauen und deren Einkaufspraktiken ausgerichtet waren. Nur sie hatten Zeit und Geld, um in der geforderten Art und Weise einzukaufen. Richtiger Konsum wurde dabei als sozial verantwortlicher Konsum verstanden. Durch das Einkaufsverhalten sollten gute Arbeitsbedingungen gefördert werden: von der Arbeitszeit über die Arbeitsbelastung bis zum Schutz der Sittlichkeit, die man etwa durch das Trinkgeld gefährdet sah. Auf diese Weise sollte «eine sozialere, menschlichere Form des Kapitalismus» gefördert werden (S. 19).

Während man das Bemühen um den richtigen Konsum mit Werkbund und Werbekritik teilte, divergierten die Ziele: «Sollten eher Materialien oder Menschen im Zentrum des Interesses stehen?» (S. 73). Ebenso wenig hatte man dieselben Interessen wie die Heimarbeitszentralen und das Heimatwerk. Statt um Wohltätigkeit und Traditionsförderung ging es darum, die modernen Arbeitsbedingungen der Industrie auch in der Heimarbeit zu etablieren. Dem patriotischen Konsum der «Schweizerwoche» begegnete man zwar mit Sympathie, doch unterschied man klar «nationale und soziale Pflichten». Zudem sei die Schweizerwoche eine Form der «Reklame», von der vor allem die «Produzenten und Kapitalisten» profitierten (S. 169).

Die wichtigsten Mittel, mit denen man den richtigen Konsum zu fördern suchte, waren Verhaltensregeln für KäuferInnen, weisse Listen für Firmen mit guten Arbeitsbedingungen sowie Gütesiegel. Schon 1910 wurde ein erster Versuch unternommen, ein solches für Produkte aus Heimarbeit zu etablieren. Mehr Erfolg hatte das «LABEL», da 1938 auf Anregung des Schweizerischen Gewerkschaftsbunds (SGB) lanciert wurde. 1942 wurde das LABEL an die neu gegründete Schweizerische Label-Organisation übertragen, die noch bis 1968 existierte, allerdings schon bald mit abnehmendem Erfolg. Die SKL entwickelte keine neuen Aktivitäten mehr und wurde 1945 aufgelöst.

Bei der Gründung hatte man die SKL als Massenorganisation konzipiert. Bald setzten sich jedoch jene Stimmen durch, die auf stärker auf professionelle Lobbyarbeit setzten. Bezahlte Stellen wurden erst in den 1930er Jahren eingerichtet: für eine kurzlebige Beratungsstelle für weibliche Handelsreisende sowie für das LABEL. Eine wichtige Grundlage für die Professionalisierung waren verschiedene Enqueten, die zugleich zur Akademisierung und zunehmenden Verwaltungsnähe des Personals beitrugen. Schon mit Blick auf die Gründung der SKL hatte eine Kommission des BSF eine erste Studie zu den Arbeitsbedingungen in der Schokoladenindustrie durchgeführt. 1909 folgte eine durch den SGB initiierte Enquete zu den Arbeitsbedingungen in der Heimarbeit. Den grössten Erfolg hatte eine in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre durchgeführte Folgestudie.

Die Heimarbeit stand fast immer im Fokus der SKL. Weitere Arbeitsschwerpunkte waren der Einzelhandel, das Gast- und das Bäckergewerbe sowie die Handelsreisenden. Wie Eigenmann zusammenfassend feststellt, handelte es sich dabei meist um Personengruppen, die im Alltag der KonsumentInnen «besonders gut sichtbar» waren. Zugleich waren sie marginalisiert, «weil sie weiblich, jung, alt oder invalide waren, weil sie keine Ausbildung hatten, wirtschaftlich abhängig und auf jeden noch so niedrigen Lohn angewiesen waren» oder weil sie kaum Möglichkeiten hatten, sich zu organisieren. Nicht zuletzt handelte es sich um Arbeitende, für die sich die Gewerkschaften nicht interessierten.

Im Unterschied zur zweiten Buchhälfte, die sich gut lesen lässt, hätten die ersten drei Kapitel an zahlreichen Stellen von einer zusätzlichen Überarbeitung profitiert. Vor allem beim sehr langen zweiten Kapitel überzeugt die Komposition nicht. Dies führt unter anderem zu Wiederholungen und zur Wiedergabe von Details, die für die Argumentation wenig zielführend sind. Zudem sind verschiedene Bewertungen wenig belegt oder widersprüchlich. So vertritt Eigenmann die These, dass die Arbeitsbedingungen in der Schokoladenindustrie wenig problematisch gewesen seien. Kurz darauf schreibt sie, dass die oben erwähnte Studie festgestellt habe, dass lediglich 7 von 23 Fabriken den Standards der SKL entsprachen. Insgesamt zeigt das Buch aber, dass eine sozialgeschichtlich interessierte Konsumgeschichte nach wie vor einiges zu bieten hat.

Zitierweise:
Bänziger, Peter-Paul: Rezension zu: Eigenmann, Anina: Konsum statt Klassenkampf. Die Soziale Käuferliga der Schweiz (1906–1945) zwischen Frauenbewegung, religiösem Sozialismus, Philanthropie und Gewerkschaften, Zürich 2019. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte 71 (3), 2021, S. 557-558. Online: <https://doi.org/10.24894/2296-6013.00093>.

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